18.12.2022
Was bedeutet es in Deutschland als Migrant anzukommen?

Gedanken zum Internationalen Tag der Migranten

von Christian Heyder, forum ehrenamt im Kirchenkreis Naumburg-Zeitz

 

„Jalla, Rami, jalla!“ Dieser Ruf von Ramis Opa hallt mir immer mal wieder im Kopf nach. Rami ist einer der besten Freunde meines großen Sohnes. Und durfte, nachdem sein Opa ihn aus dem Kindergarten abgeholt hatte, noch kurz auf den Spielplatz. Aber eben nur kurz, dann mussten sie weiter zum Bus, weil sie ein gutes Stück vom Kindergarten weg wohnen.

Ramis Eltern sind aus Syrien nach Deutschland gekommen, er selbst wurde in Deutschland geboren. Sein Opa konnte ihn glücklicherweise aus dem Kindergarten abholen, weil auch die Eltern von Hamida, seiner Mutter, nach Deutschland kommen konnten. Hamida war gerade hochschwanger und Yusuf, Ramis Vater, war auf der Arbeit – und wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht so gut befreundet, dass ich gefragt worden wäre, ob ich ihn nach Hause bringen kann. Beide Eltern haben in Syrien Medizin studiert und bereits als Ärztin und Arzt gearbeitet, bevor sie nach Deutschland geflohen sind. Bevor sie sich in unserer Region niedergelassen haben, wohnten sie kurz woanders, doch die Suche nach einer Stelle hat sie hierhergebracht. Nachdem der langwierige Prozess der Anerkennung von Hochschulabschlüssen geschafft war und auch die entsprechenden Sprachkurse erfolgreich absolviert waren, konnte es losgehen. Yusuf konnte seine Arbeit in der Klinik beginnen, Hamida in einer Praxis arbeiten. Die Zeit am Anfang war entbehrungsreich, denn beide unterstützten mit dem verdienten Geld auch ihre Familien, die nach wie vor in Syrien lebten. Hamida konnte ihre Eltern nachholen, das war eine große Erleichterung für die Familie, denn so konnten Oma und Opa jetzt auch hier unterstützen. Hamida wurde erneut schwanger – und hier sind wir wieder am Anfang der Geschichte. Leider erkrankte ihr Vater kurz nach der Geburt des zweiten Kindes schwer, und so hatte sie neben dem Baby auch ihre Eltern zu versorgen und oft auch Verantwortung für Rami, denn Yusufs Arbeit in der Klinik ist zeitlich oft nicht leicht kalkulierbar oder verlässlich…

Warum ich diese Geschichte erzähle? Am 18. Dezember ist der Internationale Tag der Migranten. Die UNO hat diesen Gedenktag im Jahr 2000 ausgerufen, weil zehn Jahre vorher die Internationale Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeiter und ihrer Familienangehörigen von der UN-Vollversammlung angenommen wurde. An diesem Tag soll weltweit besonders auf die Leistungen der migrantischen Menschen geschaut werden, aber auch auf Herausforderungen, die ihnen alltäglich begegnen. Leistungen und Herausforderungen liegen da nah beieinander, wie die Geschichte zeigt. Ich denke an Geflüchtete, denen aufgrund ihres Herkunftslandes der Zugang zum Arbeitsmarkt erschwert oder verwehrt wird. Ich denke an lange Wartezeiten bei der Anerkennung von ausländischen Schul- und Berufsabschlüssen, die am Ende oft nur teilweise oder gar nicht erfolgt. Ich denke an viele Menschen aus dem europäischen Raum, die im Zuge von Freizügigkeitsgesetzen unter zum Teil sehr schweren Arbeitsbedingungen in beispielsweise der Lebensmittelindustrie arbeiten und für uns oft gänzlich unsichtbar bleiben. Ich denke an die Menschen, die als Vertragsarbeitskräfte in die DDR gekommen sind und hier noch immer kein dauerhaftes Bleiberecht haben. Ich denke an die, die es geschafft haben, an die, die es schaffen wollen und nicht können oder dürfen – aber auch an die, die es gar nicht schaffen wollen. Und ich denke natürlich an Ramis Familie, mit der ich inzwischen sehr gut befreundet bin.